M. Stuber: Wälder für Generationen

Cover
Titel
Wälder für Generationen. Konzeptionen der Nachhaltigkeit im Kanton Bern (1750–1880)


Autor(en)
Stuber, Martin
Reihe
Umwelthistorische Forschungen 3
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marcel Müller, Boswil

In seiner historischen Diskursanalyse untersucht der Autor einen Korpus von über 100 Texten aus dem Zeitraum zwischen 1750 und 1880, die sich mit den Strukturproblemen des hölzernen Zeitalters befassten, Bezug zum Berner Raum aufweisen und sich im Rahmen gemeinnützig-ökonomischer Aufklärung an die Öffentlichkeit richteten. Stuber macht bezüglich der forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeit für den untersuchten Zeitraum drei sich chronologisch ablösende Gesamtkonzeptionen aus: Diejenige der ökonomischen Patrioten, ein sich davon absetzendes liberales Konzept, gefolgt von einer Position, welche die forstlichen Belange in der Gesamtheit des Naturhaushalts in den Blick nimmt. Bereits die Vertreter der jeweiligen Konzepte bemühten sich unter Einbezug der drei klassischen Dimensionen von sustainable development (Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt) programmatisch um eine generationenübergreifende Waldnutzung. Stuber beschränkt seine Untersuchung daher konsequenterweise nicht auf die Nachhaltigkeit im engeren Sinn, d.h. den forsttechnischen Terminus, sondern thematisiert ebenso die Nachhaltigkeit in diesem weiteren Sinn und ihre praktische Umsetzung.

Der Nachhaltigkeitsbegriff wurde 1713 erstmals im forstlichen Zusammenhang verwendet. Eine grundsätzlich auf Dauer angelegte Waldwirtschaft lässt sich allerdings zeitlich schon weit früher beobachten und ist inzwischen einigermassen breit erforscht. Die neueren Entwicklungen in der Forstgeschichte werden von Stuber im einleitenden Kapitel zum Forschungskontext und Untersuchungsprofil denn auch auf wenigen Seiten konzis dargestellt. Daran schliesst sich ein Kapitel über das Holzversorgungssystem im bernischen Ancien Régime an, das die Ausgangslage ausleuchtet, vor dem sich ab den 1760er und 1770er Jahren eine reiche Publizistik zur Frage entfaltete, wie Holzertrag und Holzbedarf in ein Gleichgewicht gebracht werden können. Für die in der Oekonomischen Gesellschaft Bern vereinten ökonomischen Patrioten stellten eine Verwaltungsreorganisation sowie Erziehungs- und Repressionsmassnahmen gegenüber der Bevölkerung die probaten Mittel dar, um die als prekär wahrgenommene Holzversorgung besser steuern zu können. Stuber spricht hier von einem «forstlichen Reformabsolutismus», der an den Grundlagen des institutionell gesteuerten Versorgungssystems allerdings nicht habe rütteln mögen. Zwar floss das Erneuerungsprogramm der ökonomischen Patrioten in die bernische Regierungspraxis und die Forstordnungen ein, die weit reichenden Selbstverwaltungsbefugnisse der Gemeinden und die beschränkten finanziellen und personellen Mittel der Zentrale hätten aber die Staatsgewalt grundsätzlich überfordert.

Der Berner Kantonsforstmeister Karl Kasthofer, an dessen Werk und Wirken Stuber die Position der Liberalen darstellt, bezeichnete den vorgeblichen Holzmangel indes als «Gespenst» und propagierte anstelle des bisherigen Versorgungswaldes einen nach den Gesetzen des Marktes bewirtschafteten Erwerbswald. Holzhandels- und Rodungsfreiheit sowie die Freiheit des Waldeigentums sollten eine höhere Rentabilität der Wälder, eine eindeutige Interessenlage und damit verbunden die Realisierung von Nachhaltigkeit gewährleisten. Kasthofer war sich der gesellschaftlichen Implikationen, insbesondere für die Rechtsamelosen Waldnutzer, sehr wohl bewusst und fürchtete gar Unruhen. Er verteidigte daher insbesondere die traditionellen Waldnutzungsformen und wollte altes Herkommen bei der Rechtsfindung berücksichtigt wissen. Da die von ihm geforderten flankierenden Massnahmen aber nicht geschaffen wurden, blieb seine «Forstrevolution» gemäss Stuber auf einen forstlichen «Manchester-Liberalismus» reduziert. Dieser hatte grosse soziale und ökologische Probleme zur Folge, und bereits 1842 wies der Jahresbericht der liberalen Forstadministration auf die drohende Übernutzung hin.

Schliesslich sollte der (moderne) Gesetzgeber die gefährdeten Schutz- und Energiefunktionen des Waldes gegen die entfesselten Marktkräfte nachhaltig schützen. Dieser naturphilosophische Paradigmenwechsel wurde für den Raum Bern wesentlich von den Kantonsforstmeistern Xavier Marchand und Franz Fankhauser geprägt. Angesichts von Wassernot und Überschwemmungen forderten sie die Einschränkung der individuellen Freiheit und eine Neudefinition des Waldeigentums. Mit ihrer ganzheitlichen Sicht hätten sich die bernischen Naturhaushalter – so Stuber – zunehmend auf dem Niveau der Ökologie im modernen Sinn bewegt. Sie hätten freilich bei der Umsetzung ihrer Konzeption auch Unterstützung durch Prozesse erhalten, die grösstenteils ausserhalb ihres Einflussbereiches abliefen. So etwa stärkte die radikale Verfassung die Rolle des Staates, auf Bundesebene wurde 1876 ein Forstgesetz geschaffen, währenddessen die Eisenbahn den Nutzungsdruck auf die Wälder entscheidend vermindern konnte.

Am Ende von Stubers Ausführungen legt man sich zuerst einmal erschöpft neben das im Wald schlafende Mädchen von Albert Anker, welches den Buchdeckel schmückt. Das Werk ist aufgrund der analytischen Dichte und der verästelten Kapitelstruktur eine anspruchsvolle Lektüre. Auch ein Interesse an Forstgeschichte im engeren Sinn ist zumindest bei Passagen zur Standortlehre oder zu Verjüngungstechniken von Vorteil. Die Bezüge zur aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte hätten dagegen ausführlicher ausfallen dürfen, da die von Stuber geschilderten Paradigmen und Problemkonstellationen weit über den Rahmen einer Regionalstudie hinausweisen und zudem (weltanschauliche) Positionen darstellen, die auch heute nach wie vor eingenommen werden. Nicht zuletzt über die souveräne Verknüpfung von Zugängen der verschiedenen historischen Teildisziplinen gelingt es dem Autor, die Komplexität umwelthistorischer Fragestellungen eindrücklich aufzuzeigen.

Zitierweise:
Marcel Müller: Rezension zu: Martin Stuber: Wälder für Generationen. Konzeptionen der Nachhaltigkeit im Kanton Bern (1750–1880). Köln / Weimar / Wien, Böhlau Verlag, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 2, 2009, S. 237-238.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 2, 2009, S. 237-238.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit